Wer lieben kann, ist glücklich…
„Je älter ich werde und je schaler die kleinen Befriedigungen des Lebens mir schmeckten, die ich in meinem Leben fand, umso mehr wurde mir klar, wo ich die Quellen meiner Freude und die Quellen des Lebens suchen müsse. Ich erfuhr, dass Geliebtwerden nichts ist. Lieben aber alles und mehr und mehr meinte ich zu sehen, dass das was unser Dasein wertvoll und lustvoll macht nichts anderes ist als unser Fühlen und Empfinden. Wo irgend ich etwas auf Erden sah, das man ‚Glück‘ nennen konnte, da bestand es aus Empfindungen. Geld war nichts. Macht war nichts. Man sah viele, die beides hatten und elend waren.
Schönheit war nichts. Man sah viele schöne Männer und Weiber die Schönheit hatten und elend waren. Auch die Gesundheit wog nicht schwer; jeder war so gesund als er sich fühlte – mancher Kranke blühte bis kurz vor dem Ende vor Lebenslust, und mancher Gesunde welkte angstvoll in Furcht vor Leiden hin. Glück aber war überall da, wo ein Mensch starke Gefühle hatte und ihnen lebte, sie nicht vertrieb oder unterdrückte, sondern pflegte und genoss. {…} Das Unglück auf der Welt und das Unglück bei uns selbst kommt also daher, dass das Lieben gestört ist. {…} Für jeden ist das einzig Wichtige auf der Welt sein eigenes Innerstes – seine Seele – seine Liebesfähigkeit. Ist die in Ordnung, so mag man Hirse oder Kuchen essen, Lumpen oder Juwelen tragen, dann klingt die Welt mit der Seele rein zusammen, ist gut, ist in Ordnung. {…}
Die Welt und das Leben zu lieben, auch unter Qualen zu lieben, jedem Sonnenstrahl dankbar offenstehen und auch im Leid nicht ganz das Lächeln zu verlieren {…} dies ist heute notwendiger und dankenswerter denn je.
Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben – aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind. {…} Es läuft immer auf das Gleiche hinaus: Den Sinn erhält das Leben einzig durch die Liebe. Das heißt: Je mehr wir lieben und uns hinzugeben fähig sind, desto sinnvoller wird unser Leben. {…} Es ist ein merkwürdiges und doch ein einfaches Geheimnis unserer Zeit, daß jede kleinste selbstlose Hingabe, jede Teilnahme, jede Liebe uns reicher macht, während jede Bemühung um Besitz und Macht uns Kräfte raubt und ärmer werden läßt. {…} Jedes SelbstlosSein, jeder Verzicht aus Liebe, jedes tätige Mitgefühl, jede Selbstentäußerung scheint ein Weggeben, Sichberauben, und ist doch Reicherwerden und Größerwerden, und ist doch der einzige Weg der vorwärts und aufwärts führt. {…}
Der Weg der Liebe ist darum so schwer zu gehen, weil an die Liebe so wenig geglaubt wird. Die Welt ist krank an Ungerechtigkeit – ja. Doch sie ist noch viel mehr krank aus einem Mangel an Liebe, an Menschentum. {…} Was wir ändern können und sollen, das sind einzig und allein wir selbst: unsere Ungeduld. Unser Egoismus (auch der geistige). Unser Beleidigtsein. Unser Mangel an Liebe, Mitgefühl und Nachsicht. Jede andere Änderung der Welt, auch wenn sie die besten Absichten hat, ist nutzlos.
Weich ist stärker als hart.
Wasser ist stärker als Fels.
Liebe ist stärker als Gewalt.
{…}
Wollet! Hoffet! Liebet! Und die Erde gehört Euch wieder.
Hermann Hesse, 1986