Sprechen wir über eine bewusste Lebensweise, dann ist auch regelmässiges Fasten als wesentliches Element zur Erhaltung der Gesundheit und als fester Bestandteil einer gesunden Lebensweise näher zu betrachten. Zahlreiche Studien bestätigen: Fasten fördert die körpereigenen Selbstheilungskräfte und verlangsamt die Alterungsprozesse, wir werden weniger anfällig für Krankheiten und belastbarer in Stresssituationen. Wir sind gesünder, ausgeglichener und fühlen uns wohler.
Der tiefe Sinn des Fastens liegt in der körperlichen Reinigung und der Regeneration, der Bewusstwerdung und der Selbstfindung. Fasten bedeutet einen bewussten, freiwilligen Verzicht auf feste Nahrung für einen begrenzten Zeitraum. Das hat nichts mit ‚Hungern‘ zu tun – Fasten ist der stärkste Impuls an die Selbstheilungskräfte des Körpers.
Viele Tiere verzichten auf Nahrung, wenn sie krank sind und tragen damit intuitiv zu ihrer Genesung bei. Und auch Kinder haben (noch) den natürlichen Impuls, Nahrung zu verweigern, wenn sie krank sind, zum Beispiel eine Grippe haben. Grundlagenwissenschaftliche Arbeiten bspw. der nordamerikanischen Yale University konnten diese intuitiven Reaktionen bestätigen und verdeutlichen, dass Fasten während einer Krankheit nicht schwächt, sondern die Immunabwehr fördert.
Dass Nahrungsverzicht – sofern er nicht übertrieben wird – die Gesundheit fördern und Alterungsprozesse verlangsamen kann, haben Ärzte und Naturheilkundige aller Zeiten beobachtet, ob Hippokrates, Sebastian Kneipp oder Hildegard von Bingen. In allen Kulturen weltweit von Südamerika bis nach Asien ist das Fasten anzutreffen – und das meist ohne dass ein direkter Kontakt oder Austausch stattgefunden hätte.
Im japanischen Okinawa gibt es eine legendäre Zone, in der die Menschen besonders alt werden. Dort gilt die Regel, man solle nur essen, bis man zu 80 Prozent gesättigt sei (‚Hara Hachi Bu‘). Ähnliches findet sich in der traditionellen chinesischen Medizin: Wer gesund bleiben wolle, solle sich nur zu 70 Prozent satt essen und zu einem Drittel kühl kleiden. Im Ayurveda gilt der Grundsatz, man solle den Magen zu einem Drittel mit Flüssigkeit, einem anderen Drittel mit Speisen füllen und den Rest leer lassen. Doch manchmal ist unsere westliche Medizin so sehr auf wissenschaftliche Daten und Details fixiert, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Dabei reicht schon der gesunde Menschenverstand für die Einsicht, dass die Menschheit schon lange nicht mehr existieren würde, wenn wenige Tage ohne Essen schwere gesundheitliche Probleme auslösen würde. Es scheint, dass der Körper über präzise Programme verfügt, um in Zeiten des Mangels die Körpertemperatur, den pH-Wert des Bluts oder die Zuckerzufuhr für die Nervenzellen des Gehirns auch unter veränderten Umständen zur regeln.
In vielen Kulturen wird gefastet, um das Bewusstsein zu öffnen und in spirituelle Bereiche vorzudringen. Besonders beim Heilfasten ist diese Dimension des Fastens unverzichtbarer Bestandteil – ‚heil werden‘ im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Fasten leitet sich ab vom althochdeutschen festi, was so viel wie festigen, stärken bedeutet. Von diesem Wortstamm ausgehend wird deutlich, dass die Festigung des Geistes und die Etablierung von emotionaler Standhaftigkeit ebenfalls wesentliche Aspekte des Fastens sind.
Während des Fastens entgiftet der Körper von krank machenden Stoffen – und gleichzeitig löst sich auf anderer Ebene die Seele von ‚geistigen Giften‘, die ein bewusstes, selbstbestimmtes und gesundes Leben behindern. Manchmal haben sich die seelischen Probleme so sehr im Körper manifestiert, dass es zu psychosomatischen Erkrankungen kommt wie bspw. Magen- und Darmerkrankungen, Migräne, Allergien, Asthma, Bluthochdruck, Hauterkrankungen oder Schilddrüsendysfunktion. Fast jede Krankheit kann psychosomatisch überlagert sein. Konkret bedeutet dies: Die Beschwerden ändern sich, wenn das zugrundeliegende Problem sich löst bzw. bearbeitet wird. Die klassische Schulmedizin heilt allerdings oft nur ‚von aussen‘ mittels verschiedener Medikamente, invasiver Eingriffe oder Operationen, das heisst, es werden nur die Symptome geheilt, nicht aber die wirklich tieferen Ursachen. Erst der Blick in die Tiefe und die Betrachtung des Menschen als eine untrennbar verbundene und sich beeinflussende Einheit von Körper, Geist und Seele kann die ganzheitliche Entstehung von Krankheiten begreiflich machen und Heilung ermöglichen.
Fasten ist eine ideale Möglichkeit, um (wieder) zu sich selbst und seinen tatsächlichen Bedürfnissen zu finden. Dies schliesst die körperlichen Bedürfnisse ebenso ein wie die seelischen. Fasten, besonders das Heilfasten, kann durchaus wie eine ‚seelische Operation‘ empfunden werden, wodurch die Herausforderungen des Lebens verarbeitet oder eine Befreiung von belastenden Angewohnheiten erfolgen kann.
EVOLUTION und ERNÄHRUNG
Betrachten wir die heutige Ernährungssituation: Auch wenn wir derzeit (in unserer westlichen Welt) in einer Phase des Nahrungsüberflusses leben, so war dies doch nicht immer so. Die Geschichte des Menschen war stets auch von Zeiten der Not und von Entbehrungen gekennzeichnet und die Menschen waren darauf eingestellt, auch längere Zeit ohne Nahrungsaufnahme zu leben. Da die Nahrungspausen – im Gegenteil zum heutigen, bewussten Fasten – eher unfreiwillig und ungeplant erfolgten, musste der Organismus Strategien entwickeln, um Reserven anzulegen und sie in Zeiten des Mangels nutzen zu können. Das Anlegen von Vorräten in Form von Körperfett ist die ökonomischste Form der Speicherung von Energie. Unter allen (Lebens-)Umständen werden Vorräte für Notzeiten angelegt und unsere biologischen Systeme funktionieren noch immer wie damals in der Steinzeit: Die einstmals unser Überleben sichernden feinst abgestuften Stoffwechselsysteme legen Vorräte an für Zeiten des Mangels. Da wir aber keine Notzeiten mehr haben und ständig zu viel essen, erhalten wir die Quittung in ernährungsbedingten Krankheiten wie bspw. Allergien, Infarkt, Diabetes, Arteriosklerose, Autoimmunkrankheiten oder allgemein erhöhten Entzündungswerten. Ständig essen wir über den eigentlich nur zur Deckung des Energiebedarfs programmierten ‚echten‘ Hunger hinaus – ohne die gefährlichen Folgen in Form von Gesundheitsschäden und Beschleunigung der Alterungsprozesse wahrzunehmen.
Valter Longo, ein herausragender Biogerontologe der University of Southern California, hat in seinen langjährigen Studien die Wirkungen des Weniger-Essens und des Fastens auf unterschiedlichste Lebewesen untersucht. Seine beeindruckenden Ergebnisse: Für alle lebenden Organismen gibt es auf dieser Erde eine Methode, um die Lebensspanne gezielt zu verlängern und dabei möglichst gesund zu bleiben: Indem man in regelmässigen Abständen fastet oder, als Alternative, sich nicht täglich statt isst, sondern die Kalorien um ca. 20 bis 40 Prozent reduziert. Durch den dosierten Nahrungsentzug wird der Körper in leichten Stress versetzt, entgiftet dadurch und wird wieder neu reguliert.
Wie bereits erwähnt, war es in der Entwicklungsgeschichte eher die Regel, dass Nahrung, wenn es diese einmal reichlich gab, schnell verzehrt werden musste (um diese vor Feinden zu schützen oder um ein Verderben zu vermeiden) und Hunger war über ausgedehnte Perioden täglicher Begleiter. Karge Winter wurden mit viel Schlaf und wenig Essen durchgestanden. Unsere Gene, unsere Proteinsynthese und unsere Hormone sind auf dieses Wechselprogramm eingestellt. Sobald die Energiezufuhr durch Nahrung gedrosselt wird und dieser Zustand länger als 12 bis 14 Stunden andauert, gehen deshalb gesunde Körperzellen in einen ‚Protektionsmodus‘ und das Zellwachstum und die Stoffwechselaktivitäten werden dadurch abgebremst.
Wenn wir heute hungern oder fasten, stellt sich der Stoffwechsel deshalb innerhalb kürzester Zeit um und verlangsamt sich – er verbraucht weniger Energie. Besonders zwei Wirkungsmechanismen werden für diesen positiven Effekt des Fastens verantwortlich gemacht: Der Ketonstoffwechsel und die Autophagie, ein Recyclingprozess der Zelle, in dem alte und krankhafte Zellbestandteile abgebaut und verwertet werden (Autophagie leitet sich vom griechischen ab und bedeutet ‚sich selbst verzehrend‘).
Erläuterung: Der Ketonstoffwechsel
Der Organismus stellt sich beim Fasten auf den ketogenen Stoffwechsel um, um wichtige Körperfunktionen zu erhalten und greift dabei auf die körpereigene Speicher zurück: Zuerst auf das Glykogen in der Leber, dann auf das Fett in den Fettpolstern und – zu einem geringen Anteil – auf das Eiweiss der Muskeln und des Bindegewebes. Bei der Umwandlung werden Glycerin und glukogene Aminosäuren freigesetzt. Diese liefern nun die Energie – vor allem für das Gehirn, das relativ viel Energie benötigt. Besonders wichtig sind dabei jene Ketonkörper, die bei der Oxidation von Fettsäuren entstehen. Der Anstieg der sauren Ketonkörper im Blut und den Zellorganismen macht sich nach einigen Tagen des Fastens bemerkbar, bspw. in der ausgeatmeten Luft oder im Körpergeruch durch leichten Acetongeruch.
Auch bei Bewegung (wenn Fett verbraucht wird) entstehen Ketonkörper. Fasten und sportliche Aktivität haben hier erstaunliche Gemeinsamkeiten: Beides, Fasten und Bewegung, verbessert unsere Denkfähigkeit. Zudem konnten wissenschaftliche Studien belegen, dass Ketonkörper nicht nur das Gehirn ernähren, sondern es auch vor Entzündungen schützen. Beim Wechsel des Körpers in den Ketonstoffwechsel, können einige Tage leichte Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Kopfschmerzen oder leichte Übelkeit auftreten, diese klingen jedoch nach wenigen Tagen vollständig wieder ab,
Die Verleihung des Nobelpreises im Jahr 2016 an den japanischen Autophagieforscher Yoshinori Ōsumi rückt die Bedeutung des Fastens in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Es konnte nachgewiesen werden, dass Fasten die Recyclingprozesse im Körper unterstützt. Der durch das Fasten ausgelöste Stress in der Zelle führt dazu, dass nicht benötigte bzw. nicht mehr funktionierende Zellbestandteile abgebaut werden, um Energie freizusetzen. DieserRecyclingprozess findet vor allem dann statt, wenn der Körper kein Insulin ausschüttet. Da dieses Bauchspeicheldrüsenhormon nach jeder (!) Mahlzeit freigesetzt wird, dämpft jede Nahrungsaufnahme die molekulare Autophagiemaschinerie (d.h. die körpereigenen Recyclingprozesse).Es kommt also nicht nur darauf an, was wir essen, sondern auch wann wir es tun. Da die Zellen Zeit brauchen, um sich zu reinigen, sollten die täglichen Mahlzeiten auf ein Minimum reduziert werden. Denn wenn der Körper als Reaktion auf Nahrung ständig Insulin ausschüttet, fehlt diese Zeit der Reinigung.
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