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Von der zielgerichteten Aufmerksamkeit zur erweiterten Wahrnehmung

Unser Aufmerksamkeitsverhalten spielt eine bestimmende und gleichzeitig weitgehend unbeachtete Rolle in unserem Leben. Eine bestimmte Erfahrung kann uns am Vormittag als belastend erscheinen, am Abend hat sich unsere Wahrnehmung vollständig oder teilweise verändert. Ein körperlicher Schmerz kann in einem Moment quälend sein, im nächsten nehmen wir ihn kaum mehr wahr. An einem Tag fühlen wir uns freundlich, liebevoll und verbunden, am anderen Tag gereizt, überfordert und ausgeschlossen. Diese Veränderungen werden maßgeblich von unserer Wahrnehmung, d.h. unserem Aufmerksamkeitsverhalten beeinflusst.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wahrnehmung sich intensiv und unmittelbar auf unser Nervensystem auswirkt und dies hat Auswirkungen in allen Lebensbereichen: Uns zu Hause zu fühlen (oder eher fremd) ist die Folge einer bestimmten Wahrnehmung. Ebenso, ob wir uns respektiert, geschätzt oder wertlos fühlen. Liebe ist eine achtsame Art, jemandem Aufmerksamkeit zu schenken. Es geht dabei allerdings gar nicht so sehr darum, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Sondern vielmehr, auf welche Art und Weise wir dies tun, d.h. auf die Form der Achtsamkeit und wie flexibel (oder starr) wir dabei bleiben. Denn fokussieren wir uns bspw. zu stark auf etwas oder jemanden, dann werden wir angestrengt, gestresst, unflexibel, starr und abwehrend. Sind wir auf flexible Art und Weise aufmerksam, dann zeigen wir mehr Akzeptanz, sind bewusster, haben mehr Energie, sind kreativer, ausdauernder, effizienter, mitfühlender und freundlicher.

Verschiedene Formen von Aufmerksamkeit haben unterschiedliche Eigenschaften und eignen sich deshalb für verschiedene Arten von Aufgaben. Unter Verwendung eines EEGs kann gezeigt werden, dass diese unterschiedliche Formen von Aufmerksamkeit mit bestimmten Frequenzen der Gehirnwellen korrespondieren. Gehirnwellen verdeutlichen die elektrische Aktivität des Gehirns und werden üblicherweise in 5 Gruppen unterteilt:

Delta-Wellen (weniger als 4 Hz) sind die langsamsten und werden produziert wenn wir im Tiefschlaf sind, ohne uns unserer Umgebung bewusst zu sein. Theta-Wellen (4-8 Hz) dominieren, wenn wir uns in einem Zustand reduzierten Bewusstseins befinden (REM-Schlaf, Traum oder tiefe Meditation). Alpha-Wellen (9-13 Hz) entstehen, wenn wir entspannt sind – immer noch wach, aber weniger aufmerksam und scharfsinnig. Beta-Wellen (14-30 Hz) dominieren, wenn wir wach sind und unser Bewusstsein normalerweise wachsam ist. Gamma-Wellen haben die höchsten Frequenzen (30 Hz +) und dominieren in Zuständen mit erhöhter Wahrnehmung.

Beta-Wellen werden üblicherweise nochmals in drei Bereiche unterteilt: Langsame Betawellen (13-15 Hz) kennzeichnen eine interessierte und gleichzeitig entspannte Aufmerksamkeit, bspw. wenn jemand über ein bekanntes Thema geprüft wird in dem er sich gut auskennt und sich sicher fühlt. Mittlere Betawellen (15-22 Hz) kennzeichnen den Zustand konzentrierter, nach außen gerichteter Aufmerksamkeit wenn ein zielgerichtetes Interesse besteht (bspw. beim Autofahren mit hoher Geschwindigkeit). Schnelle Betawellen (22 Hz und höher) sind oft gekennzeichnet von Stressempfinden, intensiven Emotionen , Muskelanspannung und hoher Alarmbereitschaft.

In Abhängigkeit des Aufmerksamkeitsverhaltens verändern sich die elektrischen Muster und diese beeinflussen wiederum das gesamte System einschließlich Muskelspannung, Atemfrequenz, Freisetzung von Hormonen und Neurotransmittern. Unsere gesamte Wahrnehmung, Erinnerung, Informationsverarbeitung, Leistungsfähigkeit, die Körperfunktionen und das emotionale Wohlbefinden werden beeinträchtigt von der Art der Aufmerksamkeit.

In unserer materiell orientierten Leistungsgesellschaft befinden wir uns überwiegend in einer Art Dauerzustand konzentrierter Aufmerksamkeit und viele Menschen stehen unter dem erheblichen Druck, permanent unterschiedlichsten Leistungsanforderungen gerecht werden zu wollen bzw. zu müssen. Die Evolution hat uns mit dieser Möglichkeit der gezielten Konzentration ausgestattet, um auf wichtige äußere Anforderungen reagieren zu können (bspw. Flucht oder Jagd).

Diese Fokussierung ermöglicht es uns, in unserem alltäglichen Leben Aufgaben effizient zu erfüllen, fordert aber gleichzeitig physiologisch und psychologisch einen hohen Preis: Es benötigt viel Energie, diesen Zustand (dauerhaft) aufrechtzuerhalten – auch wenn uns dies gewöhnlich nicht bewusst ist: Stress baut sich auf, das Nervensystem ist weniger stabil und die Reaktionen erfolgen unmittelbarer, impulsiver als bei anderen Formen der Aufmerksamkeit.

Das Leben in unserer objektorientierten Gesellschaft erfordert permanente Aufmerksamkeit, doch die zielgerichtete Aufmerksamkeit und der daraus resultierende Druck blockieren gleichzeitig auch die Wahrnehmung von Gefühlen und machen uns ‚emotional taub‘: Die Empathie wird vermindert und wir erfahren uns zunehmend getrennt von unserem Erleben. Entwickelt sich die ursprüngliche Intention – fokussierte Aufmerksamkeit zur temporär begrenzten Leistungssteigerung – zum Dauerzustand, so verhindert dies langfristig unsere Produktivität und führt zu Konzentrationsproblemen, Antriebslosigkeit, Depressionen, Ängsten, verringerter sexueller Aktivität, Schlafstörungen und allgemein verminderter Leistungsfähigkeit.

Die gute Nachricht: Lernen Menschen, ihr Aufmerksamkeitsverhalten bewusst zu verändern, so stellen sie oft nach kurzer Zeit fest, dass sich die Probleme wie von selbst lösen. Befriedigende Verbindungen (zu anderen Menschen oder zu uns selbst) entwickeln sich viel leichter, wenn wir statt der eingeengten, zielgerichteten Form der Aufmerksamkeit eine entspannte, diffusere und gelassenere innere Haltung einnehmen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit erweitern und dadurch flexibel auf sich verändernde Bedingungen reagieren können.

Studien belegen, dass das Gehirn umso besser seine Aufgaben wahrnehmen kann (Konzentration, Entspannung, Schlaf, etc.), je größer die Fähigkeit ist, in einen Zustand synchronisierter Hirnwellenaktivität einzutreten und diesen zu verlassen bzw. zwischen verschiedenen Bereichen zu wechseln (Unser Gehirn begibt sich übrigens im Tagesverlauf (und auch während wir schlafen) ganz selbstverständlich immer wieder in den Zustand der Gleichmäßigkeit).

Durch etwas Übung können wir nicht nur eine größere Kontrolle darüber erlangen, sondern diese Vorgänge der Synchronizität auch gezielt steuern. Dies führt mittel- und langfristig zu einer Veränderung des Bewusstseins – zu mehr Konzentration, Gelassenheit und Zufriedenheit und damit zu mehr physischer und psychischer Stabilität.

Die folgende kleine Übung soll verdeutlichen, wie sich das Wahrnehmungsverhalten verändern kann.

 

Ein kleine Übung zur Veränderung der Wahrnehmung…

Während Du diese Zeilen liest, werde Dir des Raumes zwischen Deinen Augen und dem Text bewusst.

Nimm Dir Zeit, diesen dreidimensionalen Raum wahrzunehmen.

Wir sind in unserem Alltag so sehr auf die Wahrnehmung von Objekten fixiert, dass diese Übung zunächst sehr ungewöhnlich erscheint und es braucht eine Weile, bis unser Geist sich darauf einläßt.

Es ist eine Konditionierung, Objekte wahrzunehmen und den Raum dazwischen auszusparen. Erlerntes Verhalten. Gibt Dir Zeit Deine Wahrnehmung zu erweitern und den freien Raum zu sehen.

Wenn Du den Raum wahrnehmen kannst, dann halte sanft Deine Aufmerksamkeit für einige Sekunden und erlaube Deinem Geist eine Pause zu machen.

Und nun erweitere Deine Wahrnehmung indem Du den Raum rechts und links von diesem Textfeld wahrnimmst. Lass zu, dass sich Dein Sichtfeld erweitert und beobachte die Veränderung in Deinem eigenen Tempo.

Und wenn Du den Raum sehen kannst, dann halte die Aufmerksamkeit für einige Sekunden.

Erlaube nun im nächsten Schritt dem visuellen Hintergrund, nach vorne zu kommen. Erlaube dem Hintergrund, die gleiche Präsenz zu erhalten wie der Vordergrund, die Buchstaben. Die gesamte Seite, die Umrandung, vielleicht der Tisch oder die Wände dahinter werden simultan mit den Worten, die Du gerade liest, zum Vordergrund. Und all dies erfolgt ganz mühelos. Lass Dir Zeit, Dich darauf einzulassen. Natürlich ist diese Übung ungewohnt – aber es liegt alles im Bereich des Möglichen.

Und wenn Du soweit bist, dann gestatte es dem Hintergrund und dem Vordergrund gleichermaßen wichtig zu sein. Oder Interessant zu sein. Gleich in Deiner Wahrnehmung zu sein. Und verweile für einige Momente in dieser Aufmerksamkeit.

Und während Du weiterliest, schließe nun auch den Raum, der Deinen Körper umgibt, in Deine Wahrnehmung mit ein. Gibt Deiner Wahrnehmung Zeit, sich für alle 3 Dimensionen zu öffnen. Und zu erweitern.

Erlaube Dir, den Raum zwischen den Zeilen wahrzunehmen während Du weiterliest. Mach Dir den Raum zwischen den Wörtern bewusst. Und zwischen den Buchstaben. Und während Du die Buchstaben und die Worte wahrnimmst, kann sich Deine Wahrnehmung mühelos weiter ausdehnen in den dreidimensionalen Raum. Und während Du den dreidimensionalen Raum wahrnimmst, wirst Du Dir den Buchstaben und Worten bewusst und den Räumen dazwischen.

Die Erweiterung Deiner dreidimensionalen visuellen Wahrnehmung erzeugt eine Veränderung Deines Aufmerksamkeitsverhaltens.

Vielleicht beginnst Du zu spüren, dass sich Deine Wahrnehmung auch auf andere Empfindungen der Abwesenheit, die wir allgemein ‚Raum‘ nennen, erweitert. Du fühlst, riechst oder schmeckst diesen Raum. Nimmst die Stille wahr. Und Du erfährst bewusst, wie aus dieser Stille und der Leere innere Dialoge und Bilder auftauchen.

Und vielleicht auch, wie ein grenzenloses Gefühl des ‚Jetzt’ präsent ist.

Und während Du Deiner Wahrnehmung immer weiter gestattest sich auszudehnen, sich zu öffnen, umfassender zu werden, fällt Dir vielleicht auch auf dass Deine Erfahrung des Lesens sich verändert. Vielleicht wird Deine Verständnis dessen, was Du wahrnimmst, zentrierter oder intensiver. Vielleicht fällt es Dir leicht die Worte zu lesen. Vielleicht gehen Dir auch Gedanken an Ereignisse durch den Kopf, die nichts mit dem zu tun haben, was Du hier liest. Ganz nebenbei. Vielleicht sind Deine Augen entspannter. Und wie fühlen sich Deine Hände gerade? Oder vielleicht stellst Du fest, dass die Muskeln in Deinem Gesicht sich lockern. Oder Dein Nacken sich entspannt.

Vielleicht fühlst Du Dich auch vollständiger oder mit Dir im Einklang.

Und vielleicht steigen auch unangenehmen Gefühle in Dir auf, die Du bisher durch die fokussierte Aufmerksamkeit unterdrückt hast.

Was immer Du auch beobachtest – nimm alles wahr so wie es ist.

Und wenn Du bei dieser Übung auch nur eine geringfügige Veränderung bemerkt hast, dann hast Du eine erste Erfahrung gemacht wie es sich anfühlt, Dein Bewusstsein zu erweitern.

Vielleicht kam Dir diese Übung zu Beginn ungewohnt vor. Seltsam. Unbehaglich. Weil wir alle gelernt haben, uns so sehr auf die Buchstaben zu konzentrieren. Wir denken, diese zielgerichtete Aufmerksamkeit wäre notwendig um uns vor Ablenkung zu schützen. Es wäre erforderlich, um das Gelesene auch wirklich zu verstehen, analysieren und anwenden zu können.

Diese Vorstellung ist so tief verwurzelt in uns, dass wir gar nicht mehr bemerken, wieviel Stress damit verbunden ist und wie müde wir dadurch werden. Die Augen klammern nach Worten. Der Verstand greift nach Ideen. Der Körper ist angespannt. Doch all dies ist beim Lesen überhaupt nicht notwendig.

Diese Übung des erweiterten Bewusstseins hilft uns, von dieser mühsamen Konzentration abzulassen. Es unterstützt uns dabei. genau das richtige Maß an Mühe aufzuwenden ohne zu übertreiben. Es hilft uns eine Form der Aufmerksamkeit zu erlernen, die präzise ist und gleichzeitig entspannt und interessiert. Eine mühelose Konzentration inmitten eines diffusen Hintergrunds aus freiem Raum wird aufrechterhalten – während Anspannung und Stress sich zerstreuen und auflösen.

Diese Übung kannst Du bei fast allen Tätigkeiten anwenden, ganz gleich wo Du gerade bist. Ob Du telefonierst, kochst oder am PC arbeitest. Es geht stets darum, mit dem was Du gerade tust aufzuhören und Dir des Raums am Randes Deines Gesichtsfeldes und des Raums zwischen Dir selbst und den Gegenständen in Deiner Umgebung bewusst zu werden.

Schenke Dir im Laufe der nächsten Tage immer wieder bewusst Aufmerksamkeit, indem Du diese Übung spielerisch in Deinen Alltag integrierst.

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