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Der natürliche Geist

Die wahre Natur des Geistes zu erfahren ist ein nahezu unmögliches Unterfangen. Besonders wir Menschen der westlichen Kultur, die wir die Welt so gerne alles mit Schablonen, Strukturen und Formeln erklären ist die Tatsache, dass die grundlegende Natur des Geistes so unermesslich ist dass sie unser intellektuelles Verständnis übersteigt, eine besondere Herausforderung – fast schon eine Ungeheuerlichkeit!

Der natürliche Geist ist fähig, alles und jedes hervorzubringen – auch die Unkenntnis seiner eigenen Natur. Das bedeutet in diesem Verständnis, die Unfähigkeit zu erkennen wurde von unserem Geist selbst erzeugt.

Fühlen wir uns also schwach, traurig, ausgeliefert, überfordert, einsam – dann erfahren wir in dem Moment die unbegrenzte Natur des Geistes, der durch die Emotionen (ausgelöst durch die Gedanken des Geistes) die Begrenztheit selbst verursacht…

Im Sanskrit nennt man die grundlegende Natur des Geistes Tathagatagarbha, wörtlich übersetzt bedeutet dies „die Natur derer, die so gegangen sind.“ Gemeint ist damit, dass diejenigen die „so gegangen sind“ vollkommene Erleuchtung erlangt haben, d.h. Menschen deren Geist die gewöhnlichen, mit Worten zu beschreibenden Begrenzungen hinter sich gelassen haben. Die frei sind von dem beschränkten Selbstbild, geschaffen durch die neuronalen Gewohnheitsmustern. Die in Kontakt sind mit ihrem Wahren Selbst auf eine selbstverständliche, leichte und natürliche Art und Weise.

Das alles klingt natürlich recht kompliziert und theoretisch abstrakt. Doch auch wenn wir die wahre Natur des Geistes nicht vollständig verstehen können, so sollten wir doch versuchen ein gewisses theoretisches Verständnis zu entwickeln. Um wirklich verstehen zu können, braucht es die direkte Erfahrung.

Frei von den Begrenzungen des Geistes (d.h. den Konditionierungen, Programmen und belastenden Emotionen) sind wir bspw. dann, wenn wir uns in einem „Flow-Gefühl“ befinden. Flow bezeichnet in der Psychologie den Zustand, in dem wir uns in einem glücklichen Zustand völliger Vertiefung befinden. Erfahren können wir diesen Zustand überall – in der Natur, beim Sport, beim Arbeiten, alleine oder im Zusammensein mit anderen Menschen, Tieren oder Pflanzenwesen. Wie erleben ein beglückendes Gefühl der völligen Hingabe – manchmal nur für Millisekunden, bevor es sich wieder verflüchtigt. Wir können es weder bewusst herbeiführen noch festhalten, es ereignet sich unmittelbar und spontan. Vereinfacht können wir Tathagatagarbha als flow of mind beschreiben, einen Zustand des völligen AlleinsSeins in dem wir spontan Einblicke erhalten in größere Zusammenhänge. .

Methapern und Geschichten eignen sich immer am besten, um Erfahrungen, die mit Worten nicht beschrieben werden können, zu erklären:

 

Der mit Schlamm bedeckte Goldklumpen

Stell Dir vor Du bist ein Schatzjäger und entdeckst eines Tages beim Graben in der Erde einen Metallklumpen. Du gräbst ein Loch, holst das Metall heraus, nimmst es mit nach Hause und beginnst es zu säubern. Zunächst enthüllt sich nur ein Eckchen, glänzend und strahlend. Und während Du immer weiter den angesammelten Schlamm und Dreck entfernst, offenbart sich der ganze Klumpen langsam als Gold. Und nun frage Dich: Was ist wertvoller – der mit Schlamm bedeckte Goldklumpen oder der gereinigte Goldklumpen?

Der Unterschied zwischen dem schmutzigen und dem sauberen Klumpen ist nur etwas Oberflächliches…

Dasselbe gilt natürlich auch für unseren Geist. All die destruktiven Gedanken, die verhindern, dass wir unseren Geist in seiner ganzen Vollkommenheit sehen, ändern nichts an seiner grundlegenden Natur. All die Gedanken wie bspw. „ich bin nicht gut genug“, „ich schaffe das nicht“, „ich bin einsam“ sind nichts weiter als eine Art neuronaler Schlamm, der die natürlichen Qualitäten unseres Geistes verdeckt. Fokussieren wir uns auf den Schlamm, so entstehen immer mehr Ablagerungen und Verkrustungen, d.h. wir verstärken die neuronalen Gewohnheiten.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das (wenn auch manchmal nur subtil wahrnehmbare) Scheinen in unserem Inneren, kann sich all der Dreck verflüchtigen, die destruktiven neuronalen Muster können sich auflösen und wir kommen mehr und mehr in Kontakt mit unserer wahren Natur.

Yongey Mingyur Rinpoche, 2007