Teil 3: Schmerz und Leiden auflösen
Schmerz und Leiden auflösen
Schmerzen sind in unserem Kulturkreis weit verbreitet und es gibt viele Varianten. Nicht nur den körperlichen Schmerz, sondern auch unangenehme Empfindungen und Gefühle ordnen wir der Schmerzkategorie zu. Traurigkeit, Einsamkeit, Ängste sind als Beispiele zu nennen und auch der Weltschmerz, das Leiden an der Welt und Ihrer Unzulänglichkeit zählen dazu.
3.1. Körperlicher Schmerz
Unsere Vorstellung von Schmerz ist stark eindimensional geprägt im Sinne einer vereinfachten Ursache-Wirkung-Beziehung. Werden wir verletzt, nehmen wir Schmerz wahr, wenngleich viele verschiedene Faktoren diese Wahrnehmung beeinflussen: Nicht nur unsere physische und psychische Konstitution, sondern auch Einflüsse aus der Umwelt, unsere Erfahrungen, usw.. In den seltensten Fällen setzen wir uns jedoch damit auseinander, welche Form von Aufmerksamkeit wir dem Schmerz senden und wie wir diese bewusst steuern können.
Vereinfach ausgedrückt ist unser Nervensystem für den Schmerz zuständig. Ist es angespannt und instabil (wie bspw. bei der zielgerichteten Aufmerksamkeit), dann sind wir nervös und überempfindlich. Wir registrieren Schmerzen (welcher Art auch immer), die vielleicht gar keine Ursache haben. Und wir tendieren dazu, aus ‚einer Mücke einen Elefanten zu machen‘.
Schmerz ist ein Ergebnis unserer Wahrnehmung. Ist unser Aufmerksamkeitsverhalten verengt und zielgerichtet, so wie es in unserem Alltag üblich ist, dann unterdrücken wir den Schmerz. Wir halten ihn auf Abstand, weil wir annehmen dadurch unsere Leistungsfähigkeit steigern bzw. erhalten zu können. Durch diese Ablenkung wird der Schmerz allerdings nur verstärkt, d.h. die Instabilität unseres Nervensystems im Zustand der zielgerichteten Aufmerksamkeit macht uns anfälliger für Schmerzen. Indem wir uns von dem Schmerz distanzieren (d.h. flüchten), geben wir ihm – bewusst oder unbewusst – Macht über uns. Erweitern wir jedoch unser Bewusstsein und bewegen wir uns auf ihn zu, d.h. integrieren wir den Schmerz in unsere Wahrnehmung, dann kann er sich zerstreuen und vielleicht sogar auflösen.
Die soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Stoßen wir uns den Arm an und konzentrieren uns in einer zielgerichteten Aufmerksamkeit auf diesen Schmerz, dann regen wir das Gehirn an, diesen Ort des Geschehens stärker wahrzunehmen. Dies aktiviert das Gehirn, der Schmerz wird intensiver wahrgenommen und unsere Aufmerksamkeit wird noch zielgerichteter. Der Schmerz erhält dadurch einen übertriebenen Stellenwert und es entsteht eine Feedbackschleife, die den Schmerz verstärkt. „Sich dem Schmerz zu öffnen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, im Zustand der diffusen Wahrnehmung das Bewusstsein zu erweitern, dadurch können wir uns dem Schmerz nähern und gleichzeitig seine Intensität verringern. Er ist dann nur noch ein Teil unserer Wahrnehmung, wird weniger bedrohlich und kann dadurch abklingen.
3.2. Emotionaler Schmerz
Interessanterweise besteht bei vielen Menschen die Überzeugung, dass emotionaler Schmerz nicht körperlich ist bzw. keine körperlichen Reaktionen auslöst. Tatsächlich haben jedoch die meisten körperlichen Schmerzen emotionale Ursachen und die Psychosomatik verdeutlicht, dass einige der schlimmsten Schmerzen durch Emotionen hervorgerufen bzw. verschlimmert werden.
Kommen wir zur Ruhe und öffnen uns den niedrigen Hirnfrequenzen, dann finden wir Zugang zu der Quelle schmerzhafter Gefühle in unserem Körper und eine achtsame Wahrnehmung hilft uns bei deren Lokalisierung. Manchmal liegt uns der Stress im Magen, die Angst sitzt uns im Nacken oder die Traurigkeit macht uns das Herz eng (aber natürlich kann der Schmerz auch an jeder anderen Stelle im Körper sitzen). Diese Quelle der Gefühle in unserem Körper zu finden ist ein wichtiger Schritt für deren Auflösung.
Üben wir uns in der Bewusstseinserweiterung, so finden wir auch Zugang zu unterdrückten Gefühlen. Vieles, was uns körperlich beeinträchtigt, ist jahre- und jahrzehntelang abgespeichert in unserem System, Und obwohl die Wurzeln manchmal weit zurückliegen, so können sie doch gravierende Auswirkungen auf unser jetziges Leben haben.
Erweitern wir unser Bewusstsein, so können diese Themen wieder an die Oberfläche kommen und dadurch Heilung finden. Da diese Methode einerseits einen physiologisch neutrale und anderseits eine integrierende Haltung fördert, kommen die Gefühle und Emotionen meist sehr sanft zutage.
Gleichwohl sind manches Mal auch stärkere „Loslass-Phänomene“ zu beoachten, die sowohl angenehm als auch irritierend sein können: Muskelzittern, Schweißausbrüche, Tränen, Prickelnauf der Haut, Schmerzen oder spontane Empfindungen, die anscheinend keine besondere Quelle haben. Diese können in Wellen von Gefühlen oder verbunden mit Erinnerungen auftreten. Diese Phänomene sind offenbar die Folge davon, dass der Körper einen Teil der Spannungen und unterdrückten Emotionen loslässt und damit Teil des Heilungsprozesses.
Unser Gehirn mit dieser besonderen Art der Meditation zu stabilisieren kann dabei helfen, Ängste, Depressionen, Zwänge oder körperliche stressbedingte Symptome aufzulösen bzw. zu verringern.
Prozess der Schmerzlinderung
Um Schmerzen zu lindern ist es im ersten Schritt (1) also erforderlich, die Aufmerksamkeit zu erweitern und Zugang zum Bereich niedriger Gehirnfrequenzen zu finden, d.h. während wir den Schmerz wahrnehmen, öffnen wir uns für den umgebenden Raum. Unter Beibehaltung der diffusen Aufmerksamkeit wird der Schmerz im nächsten Schritt (2) im Körper eingegrenzt und objektiviert (bspw. auf einer Skala von 1 – 10). Im dritten Schritt (3) wird nun die objektive Aufmerksamkeit auf den Schmerz gerichtet und gleichzeitig der umgebende Raum und die verschiedenen Empfindungen wahrgenommen. Die Veränderung erfolgt schließlich im vierten Schritt (4), indem wir unserer Wahrnehmung gestatten mit dem Zentrum des Schmerzes zu verschmelzen, so dass sie sich ausbreiten und zerstreuen kann. Jeder Schritt dauert ca. 15 – 30 Sekunden, es kann durchaus möglich sein die Abfolge zu wiederholen. Das erneute Auftreten des Schmerzes hängt davon ab, wie schnell wir wieder dem gewohnten Zustand der einseitigen Aufmerksamkeit verfallen.
Es kann durchaus erforderlich sein, diese Abfolge mehrfach zu wiederholen, um Schmerzen mehrheitlich zu beseitigen. Ob bzw. wie schnell der Schmerz wieder auftritt ist stark davon abhängig, wie wie schnell wir in einseitige (d.h. gewohnte) Aufmerksamkeitsmuster verfallen.
Das langfristige Ziel ist es, das Bewusstsein dahingehend zu erweitern, dass all vier Aufmerksamkeits- formen in ungefähr gleich Anteilen präsent sein können. Studien haben gezeigt, dass sich in diesem Zustand stressbedingte Symptome mehrheitlich auflösen bzw. gar nicht erst entstehen.
Unterdrückung bzw. chronische Vermeidung von Schmerzen verursacht einen immensen Energie- verlust. Lösen wir Schmerzen (emotional oder körperlich) auf, so können wir diese Energie für andere Aufgaben nutzen, kommen in Kontakt mit unseren Ressourcen und können unsere Potenziale umfassender nutzen.
Bitte wähle für Dich einen festen Zeitraum, an dem Du die Meditation täglich zu einem festen Zeitpunkt durchführst. Beobachte, wie sich Deine Wahrnehmung verändert und versuche, die Erfahrungen auch in Deinen Alltag zu integrieren.